„Begierde kann einen Mann dazu bringen, das Undenkbare zu tun.“
– Jarl Idgrod Rabenkrähe (TES V: Skyrim)
Wahre Worte aus einem Spiel, dessen Setting auf den ersten Blick nun wirklich wenig mit unserer Realität gemein hat. Aber wäre schließlich nicht das erste Mal, dass Spiele, Filme und Fernsehserien – unabhängig von der Story – Bezug nehmen und Kritik an unserer Gesellschaft üben.
Die Autoren der Fantasy-Reihe dachten vielleicht nicht an die Videospielindustrie, sind aber selbst ein Glied in der Kette, die ein Spiel durchläuft, bevor es auf den Markt kommt; eben dieser ist mein heutiges Thema. Obgleich ich mir im Klaren darüber bin, dass es absolut legitim ist eine Industrie daraus zu machen – schließlich leben etliche Leute durch ihre Tätigkeit in dieser Branche – möchte ich auf den offensichtlichen Januskopf hinweisen und im Folgenden genauer betrachten.
Um eine Parallele zu ziehen, umschlagen wir kurz die Chronologie, in der das Fernsehgerät das Leben der Menschen beeinflusste. Zunächst war es ein Privileg und förderte sozialen Umgang, gerade weil nicht jeder Bewohner einer Straße sofort einen Fernseher besaß; dieser diente allerdings erstmal dazu, Nachrichten zu schauen und Leute in Bewegung zu sehen, die man zuvor nur aus Radio oder Zeitung kannte. Mit der Zeit wurde aus reinem Nutzen ein Quell der Unterhaltung. Spielfilme, Komödien und mit weiterentwickelnder Technik erste Serien – auch für Kinder. Und heute: Kaum noch wegzudenken aus dem Alltag.
Und so war es auch mit Computern und Geräten, die man an das Fernsehgerät anschloss. Anfangs war alles sehr überschaubar und gerade der Computer war ein Mittel der Buchhaltung. Doch dann kamen auch – wie wir alle wissen – die ersten Spiele. Viele Jahre blieben diese Spiele ein Kleinod der Technikvernarrten – auch „Nerds“ genannt – nebst dem praktischen Computernutzen. Der Stereotyp des Computerspielers wandelte sich drastisch, wie auch in diesen Tagen.
Videospiele sind schon lange kein Kinderspielzeug mehr, wie es noch vor einigen Jahren in der Gesellschaft betrachtet wurde. Auch wegen der Spiele mit Altersbegrenzung ist der Trugschluss letztendlich klar geworden. Heutzutage ist jeder Konsument potenzieller Spieler. Noch immer selbstverständlich der Nerd, aber so gut wie jeder Jugendliche wird als PC- und Tablet-Nutzer adressiert, der Geschäftsmann mit seinem Smartphone. Spielen ist ein legitimes Hobby geworden. Für den Büroangestellten kann es Entspannung sein, Freiraum für den schüchternen Schüler oder Hilfe gegen Langweile für den Rentner. Massentauglichkeit begünstigt einen Markt, der aktuell so stark zunimmt wie kaum ein anderer. Es findet eine Expansion auf allen Ebenen statt. Die Stores der App-Anbieter weisen ein unüberschaubares Angebot an Spielen auf. Natürlich fragen sich viele old-fashioned Spieler, ob das noch das Gaming sei, was sie als Randgruppe praktizierten – vor noch nicht allzu langer Zeit.
Der BIU (Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware) gab eine – wie ich finde – interessante Statistik heraus wo die unterschiedlichen Ebenen des Spielens auf Nutzerzahlen verglichen wurden. So hat der eben angesprochene Bereich der Spiele-Apps bei uns innerhalb eines Jahres knapp 4 Millionen neue Nutzer gewonnen. Die Zahlen stiegen von 16,7 auf sagenhafte 20,6 Millionen Nutzer im Zeitraum vom Halbjahr 2012/2013 zu 2013/2014. Wohingegen das Segment der Online- und Browserspiele sich im selben Zeitintervall mit einem Wachstum von einer knappen, halben Millionen zufrieden geben musste – hier stieg die Anzahl der Nutzer in Deutschland nur auf rund 16 Millionen. Fairerweise ist zu berücksichtigen, dass sich der Smartphone-Markt in diesem Zeitraum auch ausdehnte und erhebliche, technische Neuerungen zu bieten hatte. Auch aus meinem direkten Umfeld kann ich ein Beispiel nennen: Mein Vater, der auf die 60 zugeht und vorher immer nur ein einfaches Handy hatte, womit man telefonieren und auch ab und an eine SMS schreiben konnte, hat sich in diesem Zeitraum ein iPhone zugelegt. Einen wirklichen Bezug dazu hatte er vorher nie. Es war sicherlich die Neugier, die in entscheidend drängte. Mittlerweile sitzt er abends auf der Couch und schaut dabei nicht das Fernsehprogramm, sondern auf den Bildschirm seines Smartphones, liest in den Apps von Nachrichtenmagazinen, vergleicht Tarife und spielt gelegentlich eine Runde „Unblock Me“. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, aber anfangs war ich verwundert, da er eigentlich der Fraktion mit dem Statement „Ihr jungen Leute mit eurem Internetz“ angehörte. Vielen von euch wird das sicher auch so gehen, wenn ihr Eltern oder sogar Großeltern mit Smartphone oder Tablet erwischt.
Aber das alles ist völlig nachvollziehbar und legitim. Was ich allerdings nicht ganz verstehen kann, ist das Folgende: Ich musste auf der Webseite des Sterns lesen, dass die Entwicklung von „Destiny“ – ein Next-Gen-Ego-Shooter – 500 Millionen Dollar verschlungen haben soll. 500 Millionen, diese Zahl muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. 8 Nullen.
Um damit zum Zitat am Anfang zurückzukommen: Was für einen Gewinn muss Activision sich durch diesen Titel versprechen? In meinen Augen ist das der Ausdruck purer Gier und ungesunden Ehrgeizes. Hier gilt es, gerade zwischen Geiz und Gier zu unterscheiden. Würde Activision soll viel Geld flüssig machen für ein Spiel, von dem sie sich mittelmäßige Verkäufe erwarten? Ich glaube nicht. Spätestens wenn solche Summen im Spiel sind, hört für mich die Leidenschaft, die Passion am Videospiel selber auf. Aus moralapostolischer Sicht lässt sich natürlich darüber streiten, wo dieses Geld besser hätte investiert werden können. Das Spiel und das Empfinden und Erleben der Konsumenten rückt für mich viel zu sehr in den Hintergrund, wenn ich schon wittern kann, was für Ambitionen hier vorhanden sind. Ich will Activision nicht ausreden, geschweige denn verbieten, gutes Geld zu verdienen. Aber die Symmetrie des Wortes „Spieleindustrie“ geht verloren. Hier geht’s doch nicht um ein Videogame – hier geht’s um das Scheffeln von jede Menge Geld. Völlig verständlich, dass Ansprüche steigen. Aber was am Ende für den „Faktor Spiel“, in Relation betrachtet, übrig bleibt, ist für mich ein eher ernüchterndes Ergebnis der letzten, revolutionären Jahre für diese Sparte der Unterhaltungsmedien. „Begierde“ auf Unsummen an Einnahmen verleitet die Menschen dazu, den Wert von circa zwanzigtausend Autos der Mittelklasse zu investieren. „Was regt der sich so auf? Das war doch absehbar.“ – Ich muss doch noch lange nichts gut finden, weil es absehbar war, oder?
Jarl Idgrod hat genau die richtigen Worte gefunden, um das zu erklären, was da gerade passiert. Wenn man so will, erklärt sich die Spieleindustrie unabsichtlich selbst. Eine Veränderung, die mich nicht euphorisch macht, sondern in mir Skepsis hervorruft. Wir erleben eine Videospiel-Revolution seit einigen Jahren; und egal wie genial und fortschrittlich „Destiny“ auch sein mag, es scheint wohl in erster Linie eine Wirtschaftsrevolution zu sein, wobei wir doch alle wissen, dass Revolutionäre andere Prioritäten hatten. Nachdem nun lange Zeit „Indie lebt!“ gepredigt wurde und Spiele Wellen schlugen, die trotz eines kleinen, bodenständigen Entwicklerstudios die Mengen faszinierten – quasi eine Revolution zu unseren Gunsten – ist der 9. September 2014 wohl der Wiener Kongress der Videospiele.
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